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Wie Waagner-Biro zur Kreuzfahrt kam
Wie Waagner-Biro zur Kreuzfahrt kam und erste Hindernisse überwand - Eine Geschichte von Fred Mäder
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Lang, lang ist’s her, die Zeit, über die ich berichten möchte. Wir in der Bühnentechnik bei Krupp Industrietechnik in Duisburg-Rheinhausen richteten bereits seit einigen Jahren die Theater auf Kreuzfahrtschiffen bei der Meyer Werft in Papenburg (Norddeutschland) mit Bühnentechnik aus – aber Krupp entschloss sich Ende der 90er-Jahre nach der Fusion mit Thyssen, den Standort Rheinhausen aufzugeben. Nach den gescheiterten Verhandlungen, die Krupp Bühnentechnik komplett mit 22 Mitarbeitern an Waagner-Biro Austria nach Wien zu verkaufen, fand sich ein privater Getriebebauer aus Karlsruhe, der uns für kleines Geld übernahm.
In dieser Heimat fühlte sich jedoch niemand wohl, und die Mannschaft dünnte sich langsam aus. Unser damaliger Verkaufsleiter fand als einer der ersten den Absprung und startete seine neue Karriere bei Waagner-Biro Germany in München. Die bereits vorhandenen guten Kontakte zum dortigen Geschäftsführer ebneten seinen Übergang. Natürlich schwärmte unser ehemaliger Kollege bei seinem neuen Arbeitgeber von der Bühnentechnik auf Kreuzfahrtschiffen und so ergab es sich, dass Waagner-Biro Germany gemeinsam mit der englischen Tochterfirma TELESTAGE die Ausschreibung des Logistikunternehmens P&O aus UK bearbeiteten.
Die Verhandlungen fanden direkt bei P&O in Southampton statt. Beide auf diesem neuen Sektor unerfahrenen Firmen kämpften jedoch weiter um den Auftrag, der dem Konsortium Waagner-Biro Germany/TELESTAGE noch 1999 erteilt wurde. Unser ehemaliger Verkaufsleiter beruhigte seinerzeit die leitenden Herren mit den Worten: „Wenn wir erst Herrn Mäder mit seinen Kollegen an Bord haben, sollte uns die Abwicklung des ersten Schiffsauftrags gelingen.“
Der Beginn einer neuen Ära
Es war die AURORA, mit der wir Neulinge, ich und noch zwei Kollegen, uns ab dem 2.1.2000 in einem neu eingerichteten Büro in Duisburg-Rumeln beschäftigen sollten. Gleich zu Beginn dieser Ära hatten wir es mit einem relativ großen Auftrag zu tun.
Die Folgeschiffe für RCCL, die wir bei der Meyer Werft in Auftrag bekamen, wurden deutlich geringer mit Bühnentechnik bestückt.
Am Heck des Schiffes gab es noch eine Nightclub Bar, in der eine 2-geteilte Bühne existierte. Im ausgefahrenen Zustand stellte sie eine Bühne von 100 m² dar. Nach Einziehen der äußeren Hälfte der Bühne vergrößerte sich die Tanzfläche entsprechend.
Den Auftrag für die AURORA erhielt Waagner-Biro relativ spät im gesamten Projektablauf. Der Aufbau des Schiffes war inzwischen so weit fortgeschritten, dass sich die geplanten schweren Bühnenwagen durch keinen Zugang mehr einbringen ließen. Mehrfach wurden wir aufgefordert, die Bühnenwagen in kleinere Teile zu zerlegen, was in dem Fertigungszustand nicht mehr möglich war. Wir haben dann gestaunt, als die Werft begann, ein riesiges Loch von ca. 6 m Durchmesser auf Bühnenhöhe in die Außenwand zu brennen, durch das wir die fertigen Bühnenwagen einbringen konnten. Nach Abschluss dieser Montage wurde das ausgebrannte Blechstück wieder in die Öffnung eingesetzt, der Spalt von innen und außen verschweißt und gestrichen. Von der ganzen Aktion war nichts mehr zu erkennen.
Das sollte nicht die einzige Besonderheit unseres ersten Bühnenauftrags auf einem neuen Kreuzfahrtschiff bleiben.
SIL3, das Sicherheitskonzept, gab’s damals noch nicht. Die Hauptanforderungen an die Sicherheit waren die Doppelbremsen, die mit 25 % Überlast einzeln getestet werden mussten. Sicherheitsexperten waren damals die sogenannte „Schiffsklasse DNV“, die sich bei der Bühnentechnik nur für den Bremsen-Lasttest interessierten – mit Recht. Bis zum 20. Prospektzug verliefen alle Tests vorbildlich. Dann aber passierte es: ein Schwerlastzug krachte beim Test der 2. Bremse praktisch im freien Fall auf die – Gott sei Dank – abgedeckte Bühne.
Nach dem ersten Schock fand sich zunächst keine Erklärung; die Überprüfung der Steuerung gab keinen Hinweis auf ein fehlerhaftes Verhalten. Erst die Demontage des Antriebs zeigte uns eine ölverschmierte Bremse, die für das Durchrutschen des Antriebs verantwortlich war. Ein schadhafter Dichtring an dem betroffenen Getriebe hatte einen feinen Ölstrahl in die erste nach dem Getriebe montierte Bremse gespritzt.
Das 2. Problem bescherten uns die GALA Spiras. Die vier Orchesterpodien standen jeweils auf vier 9“-Spiras. Es war bekannt, dass die Spiras immer unter einer Vorlast stehen müssen, da sie sonst wie eine Uhrfeder auseinanderfallen können. Bei Schiffen treten aber, anders als auf dem Festland, beim „Stampfen“ des Schiffes in schwerer See auch abhebende Kräfte auf. Um das Risiko der Spira-Zerstörung vollständig auszuschließen, mussten die Orchesterpodien in beiden Endlagen oben und unten verriegelt werden. Also für 4 Podien mit jeweils 2 mitfahrenden Riegelbolzen mussten in die feste Schiffsstruktur oben und unten insgesamt 16 einstellbare Riegellöcher einjustiert werden.
Einer unserer Kollegen, unser erster Inbetriebnehmer auf einem Schiff, konnte von einer „festen“ Schiffsstruktur nur träumen. Kaum war er oben fertig, fuhr er mit den Plattformen wieder nach unten, in der Hoffnung die zuvor eingestellten Löcher wiederzufinden. Die fortwährende Verformung und Verwindung des Schiffskörpers zwangen ihn aber dazu, immer größere Löcher zu bohren.
Einen Schock erlebte unser Bauleiter von der TELESTAGE, als er eines Tages in den Pitraum kam. Die Maler hatten mehrere einfache Leitern an die ausgefahrenen Spiras gelehnt, um die Unterseite der Podienplattformen zu lackieren. Gott sei Dank konnte der Kollaps der Spiras noch rechtzeitig verhindert werden. Später haben wir dann auf neuen Schiffen die Spiras durch SERAPID LinkLifts ersetzt – als Erste in der Branche.
Die Steuerung der Anlage wurde komplett von der Firma BATIK erstellt und bediente sich der Computersteuerung unserer Partnerfirma Guddland Digital aus Luxemburg. Die damalige Version C⋅A⋅T V3 wurde erstmalig auf einer Schiffsbühne eingesetzt. Es war noch die Anfangszeit von Computersteuerungen von Bühnenanlagen und es wurde noch viel vor Ort programmiert. Deshalb war es notwendig, dass der Mitbegründer von Guddland Digital während der Inbetriebsetzung selbst Hand anlegte.
Die AURORA war unser erstes Schiff, dem weitere Schiffe in Papenburg folgten.
Seither hat sich viel getan; die Anforderungen an das Entertainment auf Kreuzfahrtschiffen werden immer größer, moderne LED-Technik kommt auch bewegbar zum Einsatz. Obwohl Waagner-Biro Stage Systems bereits mehr als 30 Kreuzfahrtschiffe mit komplexer Bühnentechnik ausgestattet hat, gibt es bei jedem Neubau neue Herausforderungen.
2019, mehr als 20 Jahre nach dem ersten Einbau der Bühnentechnik auf der Aurora, erhielt Waagner-Biro Stage Systems den Auftrag, einen Steuerungsumbau von C⋅A⋅T V3 auf C⋅A⋅T V5 für die Untermaschinerie zu realisieren.
Ines Schwabl
Autor
Angelika Albert-Knaus
Autor
29.7.2024
Waagner Biro Stage Systems